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Anders als Andere.

Interview aus dem Nachhaltigkeitsbericht 2023

Die ABS verfolgt einen sehr breiten Nachhaltigkeitsansatz. Dies kann zu Zielkonflikten führen; etwa beim sozial gerechten Klima- und Naturschutz.

Rautihalde Fassade full width
Der Ersatzneubau Rautihalde 15/19 der Stiftung PWG in Zürich-Altstetten wurde u. a. durch wärmedämmendes Einsteinmauerwerk in kostengünstiger und ökologischer Bauweise errichtet und erhielt die Auszeichnung für gute Bauten der Stadt Zürich.
Bildnachweis: zVg Stiftung PWG

«Bauträger aus dem gemeinnützigen Wohnungsbau verzichten teilweise bewusst auf Sanierungen zur Verbesserung der Energieeffizienz ihrer Gebäude, um die Mieten möglichst tief zu halten», erklärt Andreas Gysi, Geschäftsführer der Zürcher Stiftung PWG zur Erhaltung preisgünstiger Wohn- und Gewerberäume. Dennoch könnten auch kaum sanierte Altbauten nachhaltig sein, meint Mariacarla Capillo. Die Mitarbeiterin von Wüest Partner AG verweist auf die überdurchschnittliche Nutzungsdichte in solchen Liegenschaften, das Einsparen von grauer Energie1 und die bezahlbaren Mieten. Wie nachhaltig eine Immobilie ist, hänge auch davon ab, ob man bei der Beurteilung den Akzent auf die ökologische oder soziale Dimension der Nachhaltigkeit setze.

Mariacarla Capillo

Mariacarla Capillo
Ökonomin, arbeitet seit 2022 in der Abteilung Nachhaltigkeit des Beratungsunternehmens Wüest Partner AG.

Andreas Gysi

Andreas Gysi
Architekt ETH, ist seit 2022 Geschäftsführer der Stiftung PWG zur Erhaltung von preisgünstigen Wohn- und Gewerberäumen der Stadt Zürich. Die ABS ist Finanzierungspartnerin der PWG.

Frau Capillo, gemeinnützige Wohnbauträger (GWBT) haben den Ruf, besonders ökologisch zu agieren. Trifft das zu?

Mariacarla Capillo: Was die Betriebsenergie angeht, sind GWBT an beiden Polen angesiedelt: Projekte wie die als 2000-Watt Areal zertifizierte Kalkbreite in Zürich machen vor, was möglich ist. Andere hingegen investieren nur das Allernötigste.

Herr Gysi, die Stiftung PWG erneuert nach dem Motto «so spät wie möglich, so früh wie notwendig». Warum sind Sie so zurückhaltend bei Erneuerungen?

Andreas Gysi: Das Wort «preisgünstig» in unserem Namen verrät schon unsere Mission, in der Stadt Zürich bezahlbaren Wohnraum zu erhalten und zu schaffen. Saniert wird, wenn es der bauliche Zustand verlangt.

Aber dann kommt es zu umfassenden Erneuerungen?

Andreas Gysi: Nein, nicht unbedingt. Natürlich analysieren wir im Einzelfall, was möglich und sinnvoll wäre. Doch oft belassen wir es beim Austausch von Küchen und Bädern sowie dem Ersatz der Leitungen. Werden die Küchengeräte ersetzt, achten wir auf möglichst effiziente Kühlschränke und Geschirrspüler. Die energetischen Massnahmen umfassen in der Regel den Austausch der Fenster sowie die Dämmung der Fassade, des Estrichs und der Kellerdecke.

Warum wird die Gebäudehülle nicht immer gedämmt?

Andreas Gysi: Die Stiftung PWG besitzt viele Liegenschaften im innerstädtischen Bereich aus der vorletzten Jahrhundertwende. Diese Häuser weisen häufig charakteristische Zierelemente an der Fassade auf, welche bei einer Aussenwärmedämmung verloren gingen. Oft erneuern wir Liegenschaften innen und aussen zeitlich versetzt, um die Mieten tief zu halten und die Bewohnbarkeit während den Erneuerungen zu gewährleisten.

Bei einer Wärmedämmung steigen der Gebäudeversicherungswert und damit auch die Kostenmiete.2 Gleichzeitig sinken die Ausgaben für Energie und folglich die Nebenkosten. Lohnt sich eine Sanierung auf lange Frist nicht trotzdem?

Andreas Gysi: Diesen Effekt sollte man nicht überschätzen. Wenn die monatlichen Nebenkosten um 100 Franken pro Wohnung sinken, schenkt das zu wenig ein. So leid es mir tut: Energetische Sanierungsmassnahmen rechnen sich bei den momentanen Energiepreisen monetär meistens nicht. Uns ist deshalb wichtiger, dass die bisherigen Mieterinnen und Mieter sich die Wohnung weiterhin leisten können. Denn diese soziale Dimension der Nachhaltigkeit steht bei der PWG im Vordergrund. Kommt dazu, dass unsere Liegenschaften sehr dicht belegt sind.

«In der Stadt Zürich wäre es möglich, allein mit der Einführung von Belegungsvorschriften bei allen Wohnungen zusätzlichen Wohnraum für 80’000 Personen zu schaffen.»
Andreas Gysi

Wie erreichen Sie das?

Andreas Gysi: Unsere Formel lautet «Anzahl Zimmer minus eins = minimale Belegungszahl». Andere Wohnbaugenossenschaften kennen bei ausgewählten Siedlungen sogar schon die Formel «Zimmerzahl = Belegungszahl». Das Potenzial dieses Mechanismus ist enorm: In der Stadt Zürich wäre es möglich, allein mit der Einführung von Belegungsvorschriften bei allen Wohnungen zusätzlichen Wohnraum für 80’000 Personen zu schaffen.

Frau Capillo, sind GWBT in Sachen verdichtetes Wohnen Vorreiter?

Mariacarla Capillo: Tatsächlich sind GWBT diesbezüglich vorbildlich. In Wohnbaugenossenschaften liegt zum Beispiel in Zürich der Wohnraumbedarf gemäss Statistik der Stadt mit 35 Quadratmetern pro Person klar unter dem Schweizer Durchschnitt von 46,5 Quadratmetern pro Kopf. Das hat damit zu tun, dass hier viele Familien zur Miete leben, aber auch mit den erwähnten Belegungsregeln.

Verdichtung ist eine zentrale Forderung an den gesamten Wohnungsmarkt. Wo stehen wir?

Mariacarla Capillo: Das politische Ziel der Verdichtung wird im Neubau zwar umgesetzt – aber das verdichtete Bauen ist nicht mit der Nutzungsdichte gleichzusetzen. Verdoppelt sich bei einem Ersatzneubau die Anzahl Wohnungen, sagt das wenig über die Zahl der Menschen aus, die dort untergebracht sind: Es gibt immer mehr Ein- und Zweipersonenhaushalte, und weil jeder Haushalt eine Küche und ein Badezimmer benötigt, erhöht sich die Fläche pro Person zwangsläufig. Die demografische Alterung, die Individualisierung und der Lifestyle tragen zu diesem Trend bei.

Herr Gysi, investieren Sie auch bei einem Ersatzneubau nur das Nötigste?

Andreas Gysi: Hier ist die Situation anders. Schon von Gesetzes wegen setzen wir bei einem Neubau auf Fernwärme, Wärmepumpe oder in Spezialfällen auf Holzschnitzel, damit wir bei der Betriebsenergie klimaneutral aufgestellt sind. Zudem achten wir auf gute Wärmedämmung, effiziente Geräte, prüfen, ob eine kontrollierte Lüftung Sinn macht, und montieren meistens eine PV-Anlage aufs Dach.

In Ihrer neuen Nachhaltigkeitsstrategie peilen Sie Klimaneutralität bis 2040 an. Die vielen Bestandesliegenschaften dürften dabei eine Herausforderung sein.

Andreas Gysi: Ja, das ist tatsächlich so. Wir sind intrinsisch motiviert, es zu schaffen und überzeugt von der Notwendigkeit. Der Stiftungsrat hat die Strategie verabschiedet und uns den Auftrag gegeben. Damit können wir nun loslegen. Die Herausforderung ist, dass unser Portfolio von 2225 Wohnungen und 318 Gewerberäumen in 186 Liegenschaften auf die ganze Stadt verteilt ist. Im Durchschnitt entfallen auf eine Liegenschaft und somit auf eine Wärmeerzeugung nur zwölf Wohnungen. Zudem wollen wir aus Kostengründen nichts überstürzen. Wo möglich schliessen wir unsere Liegenschaften an die Fernwärmenetze an. Dann wollen wir alle Ölheizungen durch klimaneutrale Energieträger ersetzen. Die Gasheizungen werden ab 2024 zu 100 Prozent durch Biogas betrieben. Eine Öl- oder Gasheizung ersetzen wir frühestens nach zehn Jahren – was immer noch deutlich vor Ablauf ihrer Lebenszeit ist.

«Je mehr wir über diese graue Energie wissen, desto besser gelingt es, die ökologischen Vorteile einer Sanierung gegenüber einem Ersatzneubau abzuwägen.»
Mariacarla Capillo

Frau Capillo, würde die Stiftung PWG bei einem Nachhaltigkeitsrating von Wüest Partner schlecht abschneiden?

Mariacarla Capillo: Nicht unbedingt. Denn wir müssen die einseitige Fokussierung auf Absenkpfade der direkten Emissionen, wie wir sie in den letzten Jahren verinnerlicht haben, etwas überdenken. Die Daten des Energieverbrauchs des Gebäudebetriebs kennt man, darum fokussieren die aktuellen Zertifikate darauf. Dennoch wird die graue Energie beim Bau immer wichtiger. Sie ist aber nur bei Neubauten messbar; bei Altbauten ist es enorm aufwendig, die eingesetzten Materialien und Mengen nachträglich zu beziffern. Je mehr wir über diese graue Energie wissen, desto besser gelingt es, die ökologischen Vorteile einer Sanierung gegenüber einem Ersatzneubau abzuwägen.

Zusätzlich muss die soziale Dimension in die Waagschale geworfen werden: Gerade in Städten ist der Wohnungsmarkt enorm ausgetrocknet. Gesellschaftliche Aspekte gewinnen auch bei einem Teil unserer Kundschaft an Gewicht. So planen mehr und mehr institutionelle Investoren Gemeinschaftsräume ein und können im Gegenzug die einzelnen Wohnflächen etwas knapper halten und dort Kosten sparen. Insgesamt bleibt es Aufgabe der Eigentümerschaft zu entscheiden, welche Prioritäten sie bei der Beurteilung der Nachhaltigkeit setzen will.

Im April 2024 sammelte die PWG 120 Millionen Franken als «Sustainability Bonds» ein. Was passiert mit dem auf acht Jahre fest platzierten Geld?

Andreas Gysi: Wir können damit – günstiger als mit normalen Hypotheken – neue Liegenschaften erwerben. Zudem finanzieren wir umweltschonende Neubauten und energetische Sanierungen von Bestandesliegenschaften. Allerdings werden wir nicht zusätzliche Energiemassnahmen finanzieren. Vielmehr geben wir – gemäss unserem Auftrag – die tieferen Finanzierungskosten in Form von attraktiveren Mieten weiter.

Die PWG verzichtet aus Kostengründen auf vorinstallierte Elektroladestationen. Es werden Leerrohre installiert, die nach Bedarf nachgerüstet werden können. Wie wichtig ist es, die Mobilität bei Wohnangeboten mitzudenken?

Mariacarla Capillo: Mobilitätskonzepte sind vor allem auf dem Land wichtig, um den motorisierten Individualverkehr zu reduzieren. In der Stadt sind der öffentliche Verkehr und die Infrastruktur für Langsamverkehr in vielen Fällen gut ausgebaut.

Andreas Gysi: Das Thema Mobilität ist dennoch immer präsent. So sind Einstellhallen für die GWBT ein Klotz am Bein: Sie sind enorm teuer in der Erstellung, und die Plätze können kaum kostendeckend vermietet werden. Zudem benötigen sie bei Neubauten viel Aushub und Beton. Hier können grosse Mengen CO2 vermieden werden.

1 Graue Energie ist die gesamte Menge nicht erneuerbarer Energie, die für alle Prozesse im Lebenszyklus eines Gebäudes benötigt wird: für den Abbau von Rohstoffen, deren Verarbeitung, den Transport zur Baustelle, den Bauprozess selbst sowie für zukünftige Renovierungen oder einen Abriss des Gebäudes. Laut Schätzungen beträgt die graue Energie eines typischen Neubaus etwa 30 Prozent der gesamten Lebenszykluskosten eines Gebäudes. Im Gegensatz zur grauen Energie bezeichnet die Betriebsenergie die energetischen Aufwände für das Gebäude im Betriebszustand, also zum Beispiel für Heizen und Kühlen, Belüftung, Warmwasser und den Betrieb elektrischer Geräte. Die ABS ist sich der Bedeutung der grauen Energie bewusst und setzt für die Nachhaltigkeitsbewertung von Bauvorhaben das Tool «ABS-ImmoImpact» ein, das beim Bewertungskriterium Bauökologie auch die graue Energie berücksichtigt.

2 Die Kostenmiete wird so berechnet, dass sie die tatsächlichen Kosten deckt, die für Bau, Instandhaltung, Verwaltung und Finanzierung des Wohnraums entstehen. Im Gegensatz zur Marktmiete wird kein Gewinn angestrebt; die Miete soll lediglich die laufenden Ausgaben des Vermieters abdecken.

Interview: Pieter Poldervaart