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Anders als Andere.

2020 wurde immer wieder an die Solidarität appelliert, um die Krise gemeinsam zu meistern. Mit unterschiedlichem Erfolg. Für die Alternative Bank Schweiz (ABS) gehört solidarisches und vor allem auch freiwillig nachhaltiges Handeln zur DNA. Was das in der heutigen Zeit für die Bank bedeutet, diskutierten Verwaltungsratspräsidentin Anita Wymann, Edy Walker, Leiter Spezialfinanzierungen bei der ABS und Geschäftsführer des eigenständigen Vereins Innovationsfonds, und Anna-Valentina Cenariu, Mitglied des Verwaltungsrats und Leiterin der Nachhaltigkeitsstelle bei der ABS. Moderiert wurde das Gespräch von Rico Travella, Leiter Fachstelle Marketing und Kommunikation bei der ABS.

Anita Wymann, Präsidentin des Verwaltungsrats der ABS.
Alle Fotos: Hannah Grüninger

Wieso ist Solidarität für die ABS nichts Neues?

Anita Wymann (AW): Damit ehrgeizige Projekte gelingen, braucht es viele, die sie mittragen. Das war unseren Pionierinnen und Pionieren, die eine Alternative zu den konventionellen Banken schaffen wollten, schon vor 30 Jahren bewusst. Welche andere Bankschreibt in ihrem Zweckartikel, dass sie eine «Solidargemeinschaft» bilden will, um damit ein neues Verantwortungsbewusstsein für die Wirkung des Geldes in unserer Gesellschaft zu fördern?

Wie wichtig ist dieser Solidaritätsgedanke heute noch?

Anna-Valentina Cenariu (AC): Sehr wichtig, eigentlich zentral. Besonders aufgefallen ist mir das, als der Bundesrat 2020 seine Strategie für einen nachhaltigen Finanzplatz präsentierte. Da hatte es wenig Konkretes dabei. Ich habe mich gefragt, weshalb wir etwas können, was offenbar für den ganzen Finanzplatz kaum vorstellbar ist. Da wurde mir klar: Weil bei uns so viele freiwillig mitmachen! Heute ist die ABS eine Gemeinschaft von 8160 Aktionärinnen und Aktionären, über 41'000 Kundinnen und Kunden, 122 Mitarbeitenden, 10 Verwaltungsratsmitgliedern und unzähligen Partnerorganisationen. Wir orientieren uns seit Jahrzehnten an Grundsätzen, die uns wichtig sind für Mensch und Umwelt – und das ohne gesetzlichen Druck oder Vorgaben. Das geht nur mit Solidarität.

Wie bewusst ist diese Solidarität der Kundschaft oder den Aktionärinnen und Aktionären?

Edy Walker (EW): Es gibt viele Kundinnen und Kunden, die ganz bewusst bei der ABS sind, weil es ihnen wichtig ist, dass ihre Bank etwas bewirken will, das vielen nützt. Davon wollen sie ein Teil sein. Deshalb gewinnen wir laufend neue Kundinnen und Kunden wie auch Aktionärinnen und Aktionäre. Sie alle tragen mit, dass wir sehr konsequent darauf verzichten, Projekte zu finanzieren oder Geld in Unternehmen anzulegen, die unseren ethischen, sozialen und ökologischen Anforderungen nicht genügen. Und Kundschaft wie Aktionariat sind bereit, ihr Geld dafür einzusetzen.

Das klingt, als wäre der Trägerschaft und den Kundinnen und Kunden wichtiger, was mit Geld bewirkt wird, als was auf dem eigenen Konto landet. Inwiefern trifft das zu?

AW: Auch wenn unsere Kundinnen und Kunden sich sehr mit unseren Werten identifizieren, irrelevant sind deswegen Zinsen und Gebühren nicht. Wir können mit unserem Geschäftsmodell in der aktuellen Marktsituation nicht die «Billigsten» sein. Aber Vergleiche zeigen uns, dass unser Angebot fair ist. Uns ist es wichtig, dass wir transparent sind und verständlich machen, wie sich unsere Konditionen gestalten. Das wird von den meisten Kundinnen und Kunden gut aufgenommen. Als wir 2015 als erste Bank in der Schweiz Negativzinsen einführten, wollten nicht alle diesen Schritt mittragen, konnten vielleicht auch nicht. Es gab viele Rückfragen und auch harsche Reaktionen. Dafür haben wir grosses Verständnis. Wir gewannen aber auch neue Kundinnen und Kunden, die unsere Transparenz in der Preisgestaltung schätzten. In den letzten Jahren kamen immer mehr Kundinnen und Kunden zu uns – trotz der negativen Zinsen, die zum Beispiel beim Zahlungskonto bereits ab dem ersten Franken in Rechnung gestellt werden. Das freut uns auf der einen Seite sehr, auf der anderen Seite wachsen die Einlagen auf den Konten stark an. Gerade in der Corona-Krise wurde vermehrt Liquidität gehalten.

Inwieweit ist das ein Problem für die Bank?

AW: Wir freuen uns über jede Kundin und jeden Kunden. Es ist eine grosse Wertschätzung, dass so viele Menschen hinter dem stehen, was wir tun. Verantwortungsbewusstsein für die Wirkung des Geldes beginnt damit, auf welche Bank man sein Geld bringt. Das ist eine erste Form der Einflussnahme. Bei der Gründung der ABS war es die Absicht, Projekten und Unternehmen Kredite zu ermöglichen, die es schwerer hatten, einen Kredit zu bekommen. So sind unsere Förderbereiche entstanden. Für solche Projekte und Unternehmen aus Branchen wie erneuerbare Energien, zukunftsweisendes Wohnen und Arbeiten, nachhaltige Landwirtschaft oder Bildung und Kultur, um nur einige zu nennen, waren wir eine der ersten Banken, die das Geschäft mittragen und voranbringen wollten. Hinzu kam, dass Menschen, die Geld hatten und es zu uns auf die Bank brachten, bereit waren, freiwillig auf einen Teil ihres Zinses zu verzichten, damit Projekte überhaupt oder zu günstigeren Konditionen möglich wurden. So lange die Zinsen für Guthaben hoch waren, hat das sehr gut funktioniert. In der heutigen Situation, in der wir von andauernd niedrigen Zinsen und enorm hoher Liquidität in den Märkten ausgehen müssen, hat sich sowohl bei den Menschen, die Geld auf die Bank bringen, wie bei den Unternehmen oder Institutionen, die Kredite brauchen, einiges verändert. Auf der einen Seite kann ich nicht mehr einfach auf einen Teil meines Zinses verzichten, wenn dieser schon praktisch null ist. Auf der anderen Seite herrscht ein grosser Wettbewerb um Kreditkundinnen und –kunden, was zu immer tieferen Zinsen führt.

Edy Walker, Leiter Spezialfinanzierungen und Geschäftsführer des eigenständigen Vereins Innovationsfonds.

Wird dadurch die Solidarität zur Bank auf die Probe gestellt?

EW: Das ist vielleicht etwas hart formuliert. Dennoch: Es ist schon festzustellen, dass bei Menschen und Unternehmen, die einen Kredit suchen, die Versuchung gross ist, die materiellen Kriterien höher zu gewichten als die ideellen. Geht es um grosse Beträge, kann ein Viertelprozent eine bedeutende Summe ausmachen. Aber wir haben das Glück, dass viele unserer Kreditnehmerinnen und -nehmer darauf achten, ob ihre Bank sich als Ganzes zu ethischen, sozialen und ökologischen Grundsätzen bekennt und diese einhält. Viele sind auch bereit, solidarisch dafür einen Beitrag zu leisten.

Muss die ABS mehr Aufklärungsarbeit leisten, dass Geld nicht gleich Geld ist?

AC: Ja, ich denke schon. Wir sind noch weit entfernt von der Entwicklung, wie sie aktuell bei der Ernährung stattfindet. Da ist es mir ja auch nicht nur wichtig, dass ich satt werde. Wenn ich ein Poulet kaufe, möchte ich etwas zu dessen «Qualität» erfahren. Ich will wissen, was das Tier zu fressen bekommen hat, wie es gelebt hat und welchen Einfluss seine Haltung auf seine Gesundheit und die Umwelt hat. Vielleicht achte ich auch darauf, ob die Betriebe, die das Poulet halten, schlachten und verarbeiten, gerechte Löhne bezahlen und sozial sind. Weshalb stellt man sich ähnliche Fragen nicht öfter, wenn es um Geld geht?

Bio-Esswaren sind teurer, ist es nachhaltiges Geld auch?

EW: Kürzlich war in einer Radiosendung des Westschweizer Senders RTS1 in einem Nebensatz zu hören, die ABS sei eine Bank für die Reichen, weil ihre Kredite teurer seien und die Zinsen auf vielen Konten negativ. Das ist so nicht korrekt. Erstens bestimmen der Markt und vor allem die Nationalbanken die Zinsen. Zweitens: Es wird aufgrund der aktuellen gesetzlichen Rahmenbedingungen noch immer finanziell begünstigt, wer sich nicht konsequent sozial und ökologisch verhält. Für viele Kosten, vor allem Umweltkosten wie CO2, gibt es keinen richtigen «Preis». Sie werden nicht oder nur teilweise verursachergerecht zugewiesen. Unternehmen, die einen Teil der Kosten nicht tragen müssen, können höhere Gewinne erzielen. In solche Unternehmen investieren wir seit jeher nicht, weil das nicht nachhaltig ist. So gesehen verzichtet man bei nachhaltigem Geld bewusst auf diese gewissen Renditen.

AW: Wie gesagt, wir waren nie die «Billigsten», sind aber marktkonform mit unseren Konditionen. Wenn wir 0,125 bis 0,25 Prozent tiefere Zinsen haben, macht das pro tausend Franken 1,25 bis 2,50 Franken pro Jahr aus. Bei den Gebühren sind unsere Prinzipien transparente und verursachergerechte Kosten. Wir verzichten deshalb auf Kontenpakete. Bei uns zahlt man das, was man braucht. Wenn man von uns keine Kreditkarte will, zahlt man sie auch nicht. Für mich ist die ABS nicht eine Bank für Reiche, sondern eine Bank für Verantwortungsvolle.

AC: Da würde ich gerne noch einen Punkt ergänzen. Der ABS ist es wichtig, dass ihre Konditionen in einem umfassenden Sinn marktgerecht sind. Die Marktsicht erschöpft sich nicht in rein materiellen Betrachtungen. Die ABS garantiert hohe Transparenz und sinnstiftende Geldverwendung. Zu einem materiell tieferen Zins gesellt sich die Wirkung, welche die ABS mit dem Geld erzielt. Diesen klaren Fokus auf Wirkung und damit auf die Gesellschaft kenne ich von keiner anderen Bank in der Schweiz.

Anna-Valentina Cenariu, Mitglied des Verwaltungsrats und Leiterin der Nachhaltigkeitsstelle.

Was darf man sich unter dieser Wirkung genauer vorstellen?

AC: Die Wirkung umfasst viele verschiedene Bereiche. Nicht alles lässt sich in Zahlen fassen. Wie zum Beispiel rechnet man ethisches Verhalten? Es gibt aber vieles, das sich quantifizieren lässt. Die Wirkung unseres Anlagegeschäfts beispielsweise. Die ABS misst als eine der wenigen Banken überhaupt, wieviel CO2 sie mit der strikten Konzentration der Anlagen auf nachhaltige Unternehmen einspart. Im Vergleich zu einem branchenüblichen Benchmark sind das erstaunliche 165'000 Tonnen CO2 pro Jahr (2019). Geht man davon aus, dass ein Neuwagen den Grenzwert von 135 Gramm CO2/km erfüllen muss, kämen wir mit der Einsparung über 30'000-mal rund um die Erde. Wenn man die vermiedenen Emissionen anhand von CO2-Zertifikaten in Franken umrechnet, ergäbe das drei Franken pro tausend Franken Guthaben auf einem ABS-Konto. So gesehen beträgt der «ideelle» Zins von diesem einen Teilbereich 0,3 Prozent. Da kommen noch viele andere Wirkungselemente oben drauf. Wenn einem also nicht nur der eigene materielle Zins wichtig ist, sondern auch die Wirkung für Gesellschaft und Umwelt, dann bekommt man bei der ABS einen sehr guten Gesamtertrag.

Wie solidarisch ist die ABS mit Unternehmen?Was darf man sich unter dieser Wirkung genauer vorstellen?

EW: Die ABS hat, wie bereits erwähnt, neun sogenannte Förderbereiche definiert. Sie will damit die Realwirtschaft voranbringen. Die ABS hat sich zum Ziel gesetzt, an Unternehmen und Projekte mit sozialer oder ökologischer Ausrichtung mindestens 80 Prozent aller Kredite zu vergeben. Diesen Wert haben wir 2020 mit 86 Prozent deutlich übertroffen. Wir konnten auch 50,2 Millionen Franken Förderkredite zu speziellen Förderkonditionen an ausgewählte Unternehmen vergeben – dank dem Zinsverzicht von Kundinnen und Kunden. Und dann haben wir ja noch den Verein «Innovationsfonds». Vielen ist es nicht bewusst, dass dieser Verein selbstständig ist, die ABS aber sämtliche Kosten für Personal und Infrastruktur trägt und jedes Jahr einen substanziellen Betrag zur Verfügung stellt. Im Jahr 2020 waren es 250'000 Franken. Zusammen mit Beiträgen von Aktionärinnen und Aktionären, die auf ihre Dividende verzichten, und vereinzelten Spenden ermöglicht uns dies, nachhaltige Start-up-Unternehmen und innovative Projekte zu fördern. Seit der Gründung des Vereins vor über 20 Jahren haben wir rund 140 Projekte unterstützt. Im Jahr 2020 bestand das Portfolio aus 29 Beteiligungen und 46 Darlehen. Jedes Jahr werden zwischen 50 und 60 Gesuche geprüft. Zum Teil entwickeln sich aus dieser frühen Förderung erfolgreiche Unternehmen. Aktuelle Beispiele sind «Choba-Choba», die nachhaltige Schokolade herstellen und seit Kurzem auch im Coop verkaufen, oder «Pakka», die für bio- und fairtrade-zertifizierte Nüsse stehen. Auch an der innovativen, digitalen Finanzierungsplattform «swisspeers» ist der Innovationsfonds beteiligt.

AC: Wir unterstützen zudem auf einer Crowdfunding-Plattform ausserordentliche Projekte mit einem sogenannten «Extra-Boost-Beitrag». Im Corona-Jahr haben wir unter dem Titel «Solidarität leben» auf unserer Website einen Online-Marktplatz gestartet. Das ist noch ein kleines Pflänzchen, aber ein wichtiges Signal. Wir wollen Unternehmen die Möglichkeit bieten, sich zu präsentieren. Sie sollen mit ihren nachhaltigen Geschäftsmodellen Zugang zur ABS-Community bekommen. Da haben wir noch einiges vor.

Rico Travella, Leiter Fachstelle Marketing und Kommunikation.

Und umgekehrt? Wie solidarisch sind Unternehmen mit der ABS?

EW: Ich habe in der langen Zeit, während derer ich für die ABS tätig sein durfte, viele tolle Partnerschaften zwischen Unternehmen und der ABS erlebt. Zur Gründungszeit der ABS, als es zum Beispiel noch nicht en vogue war, in erneuerbare Energien zu investieren, haben wir immer wieder positives Erstaunen erlebt für unser tiefes Verständnis in der Sache. Das ist heute noch so. Unternehmerinnen und Unternehmer erkennen, dass es uns um eine nachhaltige Realwirtschaft geht. Wir wollen verstehen, was der Beitrag eines Unternehmens dafür ist. Dabei geht es schon auch um Businesspläne, aber im Zentrum stehen bei uns immer die Menschen, ihre Ideen, ihre Kompetenzen und ihr Engagement. Da findet ein intensiver Austausch statt, und das schätzen die Unternehmerinnen und Unternehmer. Wir legen ja auch alle Kredite offen, die wir vergeben. Zudem publizieren wir, in Absprache mit ausgewählten Unternehmen, Kreditporträts auf unserer Website und in unserer Zeitschrift «moneta». Da spürt man schon, dass es ein enges Miteinander gibt. Aber wir sind immer noch eine Bank, die von der FINMA reguliert wird, und die sich an umfangreiche Vorschriften zu halten hat. Das ist nicht allen Unternehmen bewusst. Wir sind uns aber auch bewusst, dass wir punkto Bekanntheit bei Firmen mit nachhaltigen Geschäftsmodellen noch Potenzial haben. Auch wenn es darum geht, dass das nachhaltige Geschäftsmodell mit einem finanziellen Beitrag mitgetragen werden muss – im Sinn der Solidargemeinschaft.

Was sind die Herausforderungen der ABS, wenn es um Solidarität geht? Was die Chancen?

AW: Ich denke, wir dürfen wieder mutiger sein – natürlich unter Berücksichtigung des Risikos. Aber es gibt noch Geschäftsfelder und neue Entwicklungen, in und bei denen wir zu wenig aktiv sind. Deshalb lancieren wir 2021 ein Angebot als Bankpartnerin für die Kreislaufwirtschaft. Was uns besonders beschäftigt: Wir leben in einer Welt mit tiefen Zinsen und Rahmenbedingungen, die nachhaltiges Wirtschaften eher bestrafen als belohnen. Zentral für die Solidarität, wie wir sie verstehen und bisher gelebt haben, ist, dass alle einen Beitrag leisten – und zwar freiwillig. Daran werden wir vermehrt appellieren müssen, wenn wir unser Geschäftsmodell so erfolgreich und konsequent wie bisher weiterführen wollen. Gelingt uns das weiterhin, dann sehe ich grosse Chancen, mehr Menschen und Unternehmen zusammenzubringen, die dasselbe Ziel verfolgen: eine nachhaltige, soziale und ökologische Realwirtschaft.