Interview aus dem Nachhaltigkeitsbericht 2023
Die ABS verfolgt einen sehr breiten Nachhaltigkeitsansatz. Dies kann zu Zielkonflikten führen; etwa beim sozial gerechten Klima- und Naturschutz.
Impact-Anlagen sind bei den Kundinnen und Kunden der ABS beliebt, weil sie in der Regel mehr
direkte Wirkung entfalten als andere Anlageprodukte, die an der Börse gehandelt werden. Bei der
ABS sind in der Vermögensverwaltung Strategien mit einem hohen Anteil an Impact-Anlagen seit
Jahren die am stärksten wachsenden Mandate.
Gleichzeitig ist diese Anlageklasse mit Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Klimawirkung verbunden: Die THG-Emissionsdaten von Impact-Fonds basieren meist auf sehr allgemeinen sektoralen oder regionalen Schätzwerten. Diese sagen wenig aus über das einzelne Kleinunternehmen, das von den Investitionen profitiert (siehe Box weiter unten). Die Folge sind sehr ungenaue Klimareportings (siehe ABS-Nachhaltigkeitsbericht 2022, S. 28 ff.). Für den Nachhaltigkeitsbericht 2023 hat die ABS deshalb Impact-Anlagen aus der Klima-Analyse ausgeschlossen (siehe Tabelle 3, S. 83). Für die kommenden Jahre hat sie sich vorgenommen, gemeinsam mit den Fondsmanagerinnen und -managern von Impact-Anlagen die Datengrundlage zu verbessern. Zugleich stellt sich die Frage: Wie weit dürfen wir uns überhaupt anmassen, für den Klimaschutz die Entwicklung in Schwellenländern zu beschränken? Diese Thematik vertieft das nachfolgende Gespräch mit Paul Hailey, Nachhaltigkeitsexperte beim auf Impact-Anlagen spezialisierten Asset Manager responsAbility.
responsAbility ist ein führendes Asset-Management-Unternehmen im Bereich Impact-Anlagen, das auf die Themenbereiche finanzielle Inklusion, Klimafinanzierung und nachhaltige Ernährung spezialisiert ist. Ein besonderer Fokus liegt dabei auf Schwellenländern. Die ABS arbeitet mit responsAbility im Bereich der ABS-Vermögensverwaltungsmandate zusammen.
Paul Hailey ist seit 2018 Head of Impact & ESG bei responsAbility.
Er koordiniert und leitet das Impact Management und die Nachhaltigkeitsanalysen für das Portfolio von responsAbility.
Die ABS hat im letztjährigen Nachhaltigkeitsbericht publiziert, dass rund 80 Prozent der errechneten THG-Emissionen ihres Anlagegeschäfts auf Impact- Anlagen entfallen, obwohl sie nur 34 Prozent des Anlagevolumens ausmachen. Auch wenn die Aussagekraft wegen der schwachen Datenqualität sehr begrenzt ist, kann dieses Ergebnis irritieren. Wie beurteilen Sie dieses Resultat?
Paul Hailey: Vorab: Es ist erfreulich, dass die ABS ihre Scope-3-Emissionen überhaupt so ambitioniert ins Visier nimmt und versucht hat, die Klimawirkung dieser Anlageklasse offenzulegen.
Das zeigt eine seltene Tiefe der Auseinandersetzung mit diesem Thema. Ich selbst bin nicht überrascht von dem Resultat, da Impact-Investitionen in Schwellenländern oftmals das Ziel verfolgen, den Lebensstandard zu verbessern. Dies kann zu einem Anstieg der Emissionen führen. Dennoch bleibt der THG-Fussabdruck pro Kopf in diesen Regionen im Vergleich zu Industrieländern minimal.
Warum bleiben Sie als Anbieter von Impact-Anlagen gelassen?
Unser primäres Ziel bei den Impact-Fonds mit sozialem Fokus ist es, die wirtschaftliche Entwicklung in aufstrebenden Märkten zu fördern, Arbeitsplätze zu schaffen und zur Gleichstellung der Geschlechter beizutragen. Diese Investitionen sollen also die Armut bekämpfen und den Zugang zu Finanzmitteln in unterversorgten Regionen verbessern, was langfristig Arbeitsplätze für die Menschen schafft.
In den Augen der ABS-Kundschaft sollen sie direkt etwas bewirken und nachhaltig sein. Aber zumindest gemäss des 2022 errechneten Zahlen tragen sie überproportional zu den finanzierten Emissionen der ABS bei.
Die positive Wirkung dieser Anlagen entsteht in anderen Bereichen: Wir wollen konkret etwas in der Realwirtschaft bewirken. Erstens hat allein schon die Tatsache, dass sich responsAbility auf Schwellen- länder ausserhalb der üblichen BRICS-Mitglieder* konzentriert, eine positive Wirkung. Unsere Investitionen zielen darauf ab, unterversorgte Märkte zu erreichen, in denen das Finanzsystem oft nicht ausreichend entwickelt ist, etwa in Kirgistan oder Kenia.
Zweitens investieren wir nicht in börsennotierte Unternehmen, sondern in die Realwirtschaft, also in Einzelunternehmerinnen oder Kleinunternehmen. Für sie ist es in diesen Ländern schwierig, an Kredite zu kommen.
Drittens gibt es einen direkten Geldfluss: Wenn Investorinnen oder Investoren uns Geld anvertrauen, reichen wir es zum Beispiel an ein vertrauenswürdiges Mikrokreditinstitut weiter, das es wiederum an eine Farm im ländlichen Indien oder einen Marktstand in Tansania oder eine kleine Bäckerei in Ecuador verleiht.
«Wer sind wir denn, die indische Kleinbäuerin nach ihrem
CO2-Fussabdruck zu fragen?»
Paul Hailey
Und das rechtfertigt steigende THG-Emissionen?
Zunächst einmal sollten wir uns nochmals bewusst machen, dass die Aussagekraft der errechneten Emissionszahlen mangels verfügbarer Primärdaten sehr beschränkt ist. Aufgrund der Beschaffenheit vieler Impact-Fonds ist es unrealistisch, aussagekräftige Daten zu den THG-Emissionen der zahlreichen Kleinstunternehmen zu erheben. Die gängigen internationalen Standards der Klimaberichterstattung sind nicht gemacht für diese Unternehmen – und folglich auch nicht für die Impact-Fonds, die in sie investieren. Es ist sogar unfair, diese Standards hier anzulegen. Wer sind wir denn, die indische Kleinbäuerin nach ihrem CO2-Fussabdruck zu fragen?
Warum ist das unfair?
Wir brauchen auch in einer globalen Perspektive einen sozial gerechten Klimaschutz: Vergeben wir einen Kredit an die Realwirtschaft eines aufstrebenden Marktes, wird in der Regel nicht ein bestehendes Unternehmen optimiert und beispielsweise eine Produktionslinie energieeffizienter gemacht. Vielmehr geht es oft darum, neue wirtschaftliche Aktivitäten zu ermöglichen, die vorher nicht existierten, wie der Aufbau eines Kleinunternehmens oder die Schaffung von Arbeitsplätzen. Diese Entwicklung verbessert das Einkommen der Menschen vor Ort. Ein Kleinstunternehmen wächst. Doch Wachstum bedeutet im Kontext dieser Volkswirtschaften in den allermeisten Fällen, dass die THG-Emissionen ansteigen. Würden wir vorschreiben, dass sie nicht steigen dürfen, dann würden wir die Armutsbekämpfung und das wirtschaftliche Wachstum in diesen Regionen verhindern.
Hinzu kommt die Problematik der über lange Zeit kumulierten THG-Emissionen: Die zunehmend spürbaren negativen Effekte des Klimawandels resultieren nicht nur aus den letzten zwölf Monaten. Sie sind das Ergebnis jahrzehntelanger Emissionen, die vor allem Industrieländer verursacht haben. Folglich tragen sie eine historische Verantwortung für den Klimawandel, die alles in den Schatten stellt, was von Schwellenländern emittiert wird. Dies gilt umso mehr, da wir mit Impact-Investitionen auf einkommensschwache Haushalte und kleine Unternehmen in diesen Ländern fokussieren und nicht auf die obersten zehn Prozent der Bevölkerung oder grosse Konzerne.
Dennoch fällt es ABS-Kundinnen und -Kunden schwer zu akzeptieren, dass diese Impact-Fonds dermassen klimabelastend sein sollen.
Wir schaffen neue Arbeitsplätze und reduzieren Armut; dies ist die zentrale Mission dieser Impact-Fonds. Mit anderen Worten: Sind unsere Investitionen ins Kleingewerbe erfolgreich, verschlechtert sich in absoluten Zahlen automatisch die Klimabilanz. Der Effekt in Sachen Wohlstand hingegen ist bedeutend, wenn man sich die Kleinteiligkeit der Investitionen vor Augen führt. Beispielsweise sind wir in Indien in eine Mikrofinanzinstitution investiert, die drei Millionen Landwirtinnen und Landwirten einen Kleinkredit vergibt – das ist ein Drittel der Bevölkerung der Schweiz. Aber die Kehrseite ist, dass all diese Landwirtinnen und Landwirte mit ihren Betrieben zusätzliches CO2 ausstossen.
Also muss man einfach akzeptieren, dass durch erfolgreiche Impact-Investitionen mit sozialem Fokus die THG-Emissionen steigen?
Es gibt zwei wesentliche Punkte: Erstens liegen Kleinbauern in Indien oder Garküchenbetreiberinnen in Peru, selbst wenn sie dank einem Mikrokredit von uns ihre Produktion und damit ihren Wohlstand deutlich erhöhen können, noch immer im Bereich von weit unter zwei Tonnen CO2 pro Kopf und Jahr. In der Schweiz beträgt der THG-Fussabdruck pro Person rund 13 Tonnen jährlich – also mehr als das Sechsfache – wenn man nicht nur die im Inland verursachten Emissionen berücksichtigt, sondern auch den Import von Gütern und deren Produktion im Ausland.
Zweitens investiert responsAbility häufig im selben Land, vielleicht sogar in derselben Region, in Projekte, die aktiv zur Reduktion von Treibhausgasen beitragen.
«Indem wir neben der sozialen Entwicklung auch die Energiewende unterstützen, schaffen wir einen gewissen Ausgleich.»
Paul Hailey
Wie funktioniert das?
Neben Impact-Fonds mit sozialem Fokus bietet unser Unternehmen auch Klimafonds an. Diese zielen darauf ab, in Gegenden, die noch nicht von einem stabilen Stromnetz erschlossen sind, eine Energieversorgung auf Basis von erneuerbaren Energien aufzubauen oder unzuverlässige, auf fossiler Energie basierende Netze abzulösen. Heute sind vielerorts Dieselgeneratoren üblich. Die Betriebskosten aufgrund der hohen Dieselpreise sind eine gute Voraussetzung, dass sich erneuerbare Alternativen rechnen. Indem wir neben der sozialen Entwicklung auch die Energiewende unterstützen, schaffen wir einen gewissen Ausgleich.
Sollten wir uns nicht trotzdem darum bemühen, in Schwellenländern beim Klimaschutz nicht die Fehler der Industriestaaten zu wiederholen?
Bei der Mikrofinanz ist der Ansatz, eine Abkürzung zu nehmen und auf fossile Energie zu verzichten, reizvoll, aber kaum umsetzbar. Neben dem erwähnten Fokus auf mehr Wohlstand, der immer zu einer stärkeren Klimabelastung führt, ist häufig der im Land vorhandene Strommix das Problem: Wenn der Strom aus Kohlekraftwerken kommt, wie das beispielsweise in der Mongolei oder in weiten Teilen Indiens der Fall ist, macht es wenig Sinn, bei der einzelnen Bäuerin anzusetzen und sie zu zwingen, jede Ausweitung der landwirtschaftlichen Produktion oder Verarbeitung nur mit erneuerbarer Energie zu realisieren. Hingegen sind wir in Infrastrukturprojekte wie Solarfarmen investiert, die dazu beitragen, die Fossilen abzulösen.
Impact-Fonds sind also definitiv kein Hebel, um den Klimawandel zu bekämpfen?
Impact-Investitionen mit sozialem Fokus wie zum Beispiel Mikrokredit-Fonds ermöglichen es Menschen in Schwellenländern, Unternehmen zu gründen und Arbeitsplätze zu schaffen. Das fördert wirtschaftliche Entwicklung, was meist mit höheren Emissionen einhergeht. Klimafonds hingegen konzentrieren sich auf die THG-Reduktion, weshalb die Klimamessung auf diese Projekte fokussiert werden sollte. Bei Mikrokredit-Fonds geht es prioritär darum, Familien die Möglichkeit zu geben, ihren Lebensunterhalt zu sichern und sich eine bessere Zukunft aufzubauen.
* BRICS ist ein 2009 als BRIC gegründetes wirtschaftliches und geopolitisches Bündnis, das heute aus insgesamt zehn Staaten besteht. Der Name BRICS ist ein Akronym, das sich aus den Anfangsbuchstaben der vier Gründungsmitglieder Brasilien, Russland, Indien und China sowie des 2010 hinzugestossenen
Südafrikas zusammensetzt. Das Bündnis wurde ins Leben gerufen, um die wirtschaftliche Zusammenarbeit zwischen den Mitgliedsländern zu fördern und um die Vertretung ihrer politischen und wirtschaftlichen Interessen auf internationaler Ebene zu stärken. Einige der BRICS-Länder gelten weiterhin als Schwellenländer, während andere, beispielsweise China, mittlerweile fortgeschrittene Volkswirtschaften sind.
Interview: Pieter Poldervaart
Herausfordernde Datenlage bei Impact-Anlagen mit sozialem Fokus am Beispiel von Mikrofinanzfonds
Das Wesen von Mikrokrediten ist, dass eine grosse Anzahl von Empfängerinnen und Empfängern jeweils ein kleines Darlehen erhält. Es ist unrealistisch, von diesen vielen Kleinstunternehmen verlässliche Primärdaten
zu THG-Emissionen zu erhalten. Daher behilft man sich üblicherweise mit allgemeinen Näherungswerten,
die sich bestenfalls auf ein Land oder im schlechteren Fall auf eine Grossregion beziehen. Diese Durchschnittsangaben treffen beispielsweise auf eine bestimmte landwirtschaftliche Anbauart in einer gewissen Weltregion zu, etwa Nassreisanbau in Indien. Für Mikrokredite mit Fokus auf Armutsbekämpfung
und finanzielle Inklusion beschränken sich die verfügbaren Daten in der Regel auf diese Näherungswerte,
die nicht von den Unternehmen selbst stammen.
Präzise Emissionsdaten bei Impact-Anlagen mit Umweltfokus
Bei Impact-Anlagen mit Umweltfokus hingegen – etwa der Finanzierung von Elektrotaxis – berechnet zum Beispiel responsAbility die tatsächlichen Emissionsdaten und vergleicht sie mit dem zu erwartenden Zustand ohne die Investition. So kann die vermiedene Menge CO2 berechnet werden. Es hängt somit von der Ausrichtung und den Zielen eines Impact-Fonds ab, ob ein Zugang zu aussagekräftigen THG-Emissionsdaten realistisch ist und darauf aufbauende Analysen sinnvoll sind.