Eine persönliche Botschaft von Anita Wymann, Präsidentin des Verwaltungsrates der ABS
Meine Grossmutter sammelte während Jahrzehnten unermüdlich Unterschriften. Obwohl sie als Damenschneiderin ihr eigenes Atelier hatte, konnte mein Grossvater darüber entscheiden, ob sie berufstätig sein durfte. Er hätte die gemeinsame Familienwohnung ohne die Zustimmung meiner Grossmutter kündigen können und wäre auch für das Verwalten des Vermögens – auch der Erbschaft meiner Grossmutter – allein verantwortlich gewesen. Er war – übrigens als engagierter Gewerkschafter und Lokalpolitiker – gemäss Gesetz das alleinige Oberhaupt der Familie. Obwohl er sonst ein typischer Patriarch seiner Zeit war, hat er das Frauenstimmrecht und das Engagement meiner Grossmutter unterstützt.
Sie fragen sich, wofür meine Grossmutter Unterschriften sammelte? Sie war Mitglied im Stimmrechtsverein in Oberhofen (BE). Die dort engagierten Frauen kämpften seit den 50er Jahren für das Frauenstimmrecht. Im zweiten Anlauf war es 1971 endlich soweit: 65,7% der stimmberechtigten Männer nahmen die Initiative an. Damit gab die Schweiz als eines der letzten Länder in Europa den Frauen das Stimmrecht auf nationaler Ebene.
Ein halbes Jahrhundert, nachdem meine Grossmutter gemeinsam mit den Frauen ihrer Generation die Zustimmung für etwas erkämpft hat, das uns heute selbstverständlich scheint, sehen wir viele ausgezeichnet ausgebildete Frauen in Politik und Wirtschaft – unabhängig wie noch nie. Das Ehe- und Erbrecht wurde noch in den 1980er Jahren revidiert. 1981 wurde die Gleichstellung von Mann und Frau in der Schweizer Verfassung verankert. Somit gibt es zumindest auf rechtlicher Seite keine Vormachtstellung des Mannes mehr.
Meine Grossmutter ist leider schon vor 20 Jahren verstorben. Aber ich bin sicher, dass sie stolz wäre, wenn sie sehen könnte, welche Spuren ihr Engagement hinterlassen hat. Und ich bin stolz, weil sich die Gründerinnen und Gründer der Alternativen Bank Schweiz (ABS) schon vor 30 Jahren dafür eingesetzt haben, dass Frauen und Männer die gleichen Möglichkeiten in der beruflichen Tätigkeit haben. Heute haben wir eine ABS, in der Beruf und Familie auf allen Stufen der Hierarchie miteinander vereinbar sind: Im Geschäftsleitungsteam haben wir aktuell zwei Berufsfrauen und Mütter in Teilzeit und im Jobsharing. Männer und Frauen erhalten bei gleicher Funktion denselben Lohn. Dank Lohntransparenz ist dies auch für jede und jeden überprüfbar.
So wie das Frauenstimmrecht vor 50 Jahren sollten auch dies eigentlich Selbstverständlichkeiten sein, mit denen auch wir als ABS nicht besonders hervorstechen. Das ist aber nicht der Fall. Der grosse Frauenstreik am 14. Juni 2019 hat uns laut, bunt und deutlich daran erinnert, wie viel zu tun bleibt, etwa für zentrale Anliegen wie Lohngleichheit, gleiche Chancen im Beruf oder dass Männer und Frauen unbezahlte Arbeit gemeinsam tragen.
Ich wünsche mir sehr, dass Frauen wie Männer dranbleiben und sich so engagiert wie meine Grossmutter damals gemeinsam dafür einsetzen, dass wir endlich die vollständige Gleichstellung der Geschlechter verwirklichen können.