Das Klima und die Gleichstellung prägten 2019 die öffentliche Debatte in der Schweiz. Beides gehört zu den Kernanliegen der Alternativen Bank Schweiz (ABS). Anlässlich des 30-jährigen Jubiläums diskutieren Sophie de Rivaz und Hans Ulrich Schudel aus der Gründergeneration der ABS sowie Verwaltungsratspräsidentin Anita Wymann und Geschäftsleitungsvorsitzender Martin Rohner über das umwelt- und gleichstellungspolitische Engagement der Bank – gestern, heute und morgen.
Was tut die ABS heute mit ihrer Geschäftstätigkeit fürs Klima? Wie fördert sie die Umstellung auf eine CO2-freie Wirtschaft und Lebensweise?
Martin Rohner (MR): Die Geschäftspolitik der ABS wurde vor 30 Jahren sehr visionär definiert und erweist sich heute als klimaverträglich. 2016 überprüften wir den CO2-Fussabdruck des gesamten ABS-Anlageuniversums: Es ist kompatibel mit dem Absenkungspfad des Pariser Klimaabkommens, ohne dass wir das so geplant hätten – einfach, weil die ABS eine spezielle, auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Politik verfolgt.
Anita Wymann (AW): Nicht nur im Anlagegeschäft, auch bei den Krediten sind ökologische Kriterien seit der Gründung wichtig, beispielsweise indem wir erneuerbare Energien oder eine nachhaltige Landwirtschaft finanzieren. Und wir leben diese Werte in der ABS auch selbst. So haben wir etwa beim Umbau unseres Hauptsitzes in Olten sehr viel unternommen, damit er strengen ökologischen Kriterien genügt.
Welche Rolle spielt die Gleichstellung in der Geschäftstätigkeit der ABS?
MR: Im Anlagebereich schauen wir Gleichstellungsfragen im Rahmen der Unternehmensanalyse an: Hat eine Firma beispielsweise eine Geschlechterquote oder nicht? Das Ergebnis beeinflusst die Gesamtbewertung des Unternehmens. Im Kreditgeschäft sind Geschlechterquoten kein Kriterium, das wir prüfen. Aber ein frauenfeindliches Unternehmen erhält keinen Kredit.
Und wie wird Gleichstellung innerhalb der ABS gefördert?
AW: Da sind wir sehr weit, zum Beispiel mit gleichem Lohn für gleiche Arbeit. Und die Bank ist sehr bestrebt, Frauen in Führungspositionen zu haben. 2019 führten wir Jobsharing in der Geschäftsleitung ein, damit eben Familie und ein Spitzenjob vereinbar sind, und zwar nicht ausschliesslich für Frauen, sondern auch für Männer. Und im Verwaltungsrat haben wir eine Geschlechterquote.
Existierte sie bereits bei der Gründung?
Sophie de Rivaz (SR): Ja, sie war schon in den Gründungsstatuten festgehalten und besagt, dass kein Geschlecht zu mehr als 60 Prozent in den Führungsgremien vertreten sein darf.
AW: Das war damals revolutionär! Und ich finde es entscheidend, dass es eben eine Geschlechterquote und keine Frauenquote ist.
Wie kam es soweit, dass die ABS schon damals eine Geschlechterquote einführte?
AW: Die Frauen haben heftig dafür gekämpft. Es gab bei der ABS mehrere sehr engagierte Frauen, die von Anfang an dabei waren.
Hans Ulrich Schudel (HUS): Unter den Gründungsorganisationen der ABS gab es auch einige, bei denen eine ausgeglichene Geschlechtervertretung bereits zur Policy gehörte. Wir integrierten die Quote in die Gründungsstatuten, und es war bei der Besetzung aller Gremien völlig klar, dass sie eingehalten werden musste. Beim Verwaltungsrat gelang das immer, aber für die erste Geschäftsleitung fanden wir damals trotz grosser Anstrengungen keine Frauen.
Warum war das so schwierig?
SR: In der damaligen Finanzbranche wurden vor allem Männer zu Kadern ausgebildet. In meinem Bekanntenkreis studierten in den 1980er-Jahren viele an der École de Commerce. Und einige Jahre später nahmen die Männer gute Positionen bei Banken und Versicherungen ein, und die Frauen waren Sekretärinnen. Trotz gleichen Kompetenzen und gleichem Abschluss wurden die Frauen diskriminiert. Da ist es nicht verwunderlich, dass man keine Frauen für Führungspositionen fand.
AW: Frauen für die Geschäftsleitung zu finden, ist auch heute noch eine Herausforderung.
u mehr als 60 Prozent in den Führungsgremien vertreten sein darf.
Weshalb ist es beim Verwaltungsrat einfacher?
AW: Weil im Verwaltungsrat nicht nur Bankprofis sein müssen. Wir haben Verwaltungsrätinnen und
Bei der Gründung gab es auch einen Förderbereich Frauenprojekte. Welche Art von Projekten hat die ABS da finanziert?
HUS: Vor allem Frauenkollektive, beispielsweise Geburtshäuser oder das Frauenbildungszentrum Villa Kassandra, Zusammenschlüsse von Frauen, die sonst keine Kredite bekommen hätten.
Und wie entwickelte sich dieser Förderbereich?
HUS: Er hatte nie das gleiche Volumen wie andere Bereiche. Zum Vergleich: Schon zwei Jahre nach der Gründung umfasste der Förderbereich Biologische Landwirtschaft weit über 3 Millionen, und die Frauenprojekte waren bei 800'000 Franken.
SR: Der Förderbereich Frauenprojekte wurde später nie ausgeschöpft und 2011 lösten wir ihn auf. Heute ist es selbstverständlich, dass Frauen wie Männer Kredite erhalten. Wir haben sehr erfolgreiche Unternehmerinnen in unserem Kundenstamm, die tolle Projekte machen und dazu nicht speziell unterstützt werden müssen.
Gibt es Zahlen dazu? Wisst ihr, wie heute das Verhältnis von Frauen und Männern bei euren Kreditnehmenden ist?
MR: Wir werten das nicht aus. Aber wir sehen, dass es letztlich auch branchenabhängig ist. Beispielsweise sind die erneuerbaren Energien bei uns eine Männerdomäne. In der Bio-Landwirtschaft hingegen machen Frauen fast einen Drittel aus, Tendenz steigend. In wieder anderen Branchen ist die Mehrheit der Kundschaft weiblich.
Wenn ihr auf die vergangenen drei Jahrzehnte zurückblickt: Was sind die grössten Erfolge der ABS punkto Gleichstellung?
AW: Dass vieles nicht mehr diskutiert werden muss, weil wir punkto Gleichstellung in der ABS schon sehr weit sind. Man kann bei uns auf allen Stufen Teilzeit arbeiten, wir zahlen Frauen und Männer den gleichen Lohn für gleichwertige Arbeit und fördern sie gleichermassen mit Aus- und Weiterbildung. Das ist als Signal wichtig. Und diese Gleichstellung ist im Interesse von uns allen – von Frauen und von Männern.
MR: Meiner Meinung nach ist es ein Erfolg, dass die Frage der Gleichstellung bei der ABS während der letzten 30 Jahre immer wichtig blieb. Die Bank ist ihrer Linie treu geblieben. Und bei der Begrenzung der Lohnspanne ist die ABS pionierhaft. Indem sie das Verhältnis zwischen dem tiefsten und dem höchsten Lohn auf 1 zu 5 begrenzt, kämpft sie gegen Ungleichheit – und das bedeutet gleichzeitig auch, die Gleichstellung von Frauen zu fördern.
Kommen wir nochmals zur Ökologie: Die ABS hat ja seit ihrer Gründung eine ökologische Zielsetzung. Es ging damals aber noch nicht um Klimaschutz und CO2-Emissionen?
HUS: Nein, wir sprachen damals von Umweltschutz – das klingt ja heute ganz verstaubt! – und der Fokus lag auf der Ökologie ganz allgemein. So hiess es beispielsweise in den Gründungsstatuten: «Voraussetzung für die Mitwirkung im Verwaltungsrat ist ein ökologisches Bewusstsein.» Der grosse Renner war die biologische Landwirtschaft.
Und die erneuerbaren Energien?
HUS: Die waren auch wichtig. Es gab ja damals schon die ersten Solarpanels. Das war ein grosser Markt, rückblickend muss man aber auch sagen: ein grosser Flop. Es waren teure Anlagen, die nicht lange hielten. Nicht nachhaltig.
Was waren in den nachfolgenden 30 Jahren die wichtigsten Meilensteine punkto Ökologie bzw. Klimaverträglichkeit?
MR: Der wichtigste Meilenstein war die Einführung strenger Ausschlusskriterien und die Ausrichtung der gesamten Geschäftstätigkeit auf die Förderbereiche. Weitere Meilensteine waren beispielsweise die Gründung des Innovationsfonds 1996, um zukunftsweisende Geschäftsmodelle zu ermöglichen. Und 2004 führten wir ein Immobilien- Rating ein und darauf beruhend die ABS-Umwelthypothek, mit der wir die Sanierung respektive den Bau von ökologischen Gebäuden unterstützten.
AW: Leider hat uns die Finanz- und Wirtschaftskrise dieses Förderinstrument gekippt. Mit diesen Ratings waren bessere Konditionen verbunden, und die können wir heute nicht mehr zahlen, weil die Margen so stark unter Druck geraten sind.
HUS: Aus meiner Sicht war es ein wichtiger Meilenstein, als die ABS nach langen Diskussionen 2002 endlich grüne Anlagemöglichkeiten einführte. Am Anfang betrieb die ABS ja nur das Spar- und Kreditgeschäft.
MR: 2012 war das Thema Raumplanung in der Gesellschaft sehr wichtig. Da die ABS sehr stark im Immobilienbereich engagiert ist, führten wir das Zersiedelungstool ein, mit dem wir bei jeder Immobilie überprüfen, ob sie zur Zersiedelung beiträgt. Ist das der Fall, gibt es keinen Kredit. Und 2014 stand die Einführung einer nachhaltigen Vermögensverwaltung im Vordergrund, dazu gehört auch das sogenannte Impact- Mandat, also ein Vermögensverwaltungsmandat mit Anlagen – etwa im globalen Süden – die eine unmittelbare soziale und/oder ökologische Wirkung erzielen. Und natürlich sind wir heute besonders stolz auf unseren ersten eigenen Anlagefonds, den wir letztes Jahr lanciert haben und der von allen Schweizer Fonds den strengsten Nachhaltigkeitsansatz hat.
AW: Ein wichtiger Meilenstein ist auch, dass wir seit 2015 mit der Sustainable Banking Scorecard laufend die soziale und ökologische Wirkung unserer Geschäftstätigkeit überprüfen. Und dass wir den Anteil unserer Kredite ausweisen, die einen sozialen und/oder ökologischen Mehrwert haben. Er steigt von Jahr zu Jahr und liegt aktuell bei 86 Prozent.
Wie sieht es denn auf Seiten der Kundinnen und Kunden aus: Spürt ihr Auswirkungen der neuen Klimabewegung?
MR: Ich weiss nicht, ob es die Klimastreik-Bewegung war oder die Wahlen und das sich verändernde politische Bewusstsein in der Schweiz, aber wir hatten im letzten Herbst so viele Neuzugänge an Kundinnen und Kunden wie noch nie zuvor in der Geschichte der ABS.
Und wo seht ihr heute das grösste Entwicklungspotenzial: Wie kann die ABS noch mehr für eine klimaverträglichere Wirtschaft tun?
MR: Ein erster Schritt wird sein, die Klimaverträglichkeit der gesamten Geschäftstätigkeit zu messen. Wir haben uns einer internationalen Initiative angeschlossen, die uns dafür die nötigen Instrumente liefern wird. Die Ergebnisse helfen uns dann, die nächsten Schritte hin zu noch mehr Klimaverträglichkeit zu definieren. Weiter ist es so, dass wir in den vergangenen zehn Jahren die Wirtschaftlichkeit der ABS gestärkt und die Kapitalquote erhöht haben. Jetzt müssen wir dieses starke Fundament auch einsetzen und wieder mehr Risiken eingehen, um visionäre Projekte zu fördern.
Um welche Art von Projekten geht es?
MR: Wir sehen sehr spannende Projekte im Innovationsfonds, beispielsweise zu veganen Produkten oder innovativen Mobilitätslösungen. Diese Projekte brauchen heute Geld, und zwar mehr, als der Innovationsfonds bereitstellen kann. Aber für eine klassische Bankfinanzierung sind sie noch zu wenig weit entwickelt. Und da müssen wir bereit sein, mehr Kapital einzusetzen.
HUS: Mit dem Innovationsfonds oder mit der Bank?
AW: Mit der Bank. Ein Beispiel: Der Innovationsfonds hat einige Unverpackt-Läden finanziert. Aber jetzt sind sie nicht mehr neu und nicht mehr innovativ, also finanziert sie der Innovationsfonds nicht mehr; er hat ja nur beschränkte Mittel zur Verfügung. Und jetzt können wir fragen: Wie werden wir zur Bank der Unverpackt-Läden der Schweiz? Auch bei den neuen technischen Errungenschaften im Energiebereich – also den neuen erneuerbaren Energien – können wir einen Schritt weitergehen. Wir müssen uns als Bank neue Marktfelder eröffnen, in denen wir wieder einzigartig sind.
MR: Damit ist auch die Frage der Wirtschaftlichkeit verknüpft. Heute ist es sehr anspruchsvoll, im klassischen Bankgeschäft Geld zu verdienen. Die Margen sind sehr dünn geworden. Und die Chance besteht meiner Meinung nach darin, neue Instrumente zu schaffen, mit denen wir im Aktivgeschäft wieder mehr Geld verdienen können.
Und wo seht ihr Verbesserungsmöglichkeiten in Bezug auf die Gleichstellung?
AW: Bei der Aus- und Weiterbildung; da kann man immer mehr machen, damit Frauen noch mehr Möglichkeiten haben, innerhalb der Bank weiterzukommen. Ich denke beispielsweise an Fachhochschulabschlüsse, die sich mit Teilzeitarbeit gut kombinieren lassen. Und nach aussen können wir vermehrt aufzeigen, was wir gut machen, beispielsweise in Bezug aufs Lohnsystem. Es ist nach wie vor aussergewöhnlich, dass unsere Löhne völlig transparent sind. Und dies ist ja eine wichtige Voraussetzung, um das Prinzip «Gleicher Lohn für gleiche Arbeit» zu verwirklichen. Unsere Modellhaftigkeit kann hier eine Wirkung auf andere Unternehmen haben.
HUS: In der Anlageberatung gäbe es doch auch Möglichkeiten, die Bedürfnisse von Frauen stärker zu berücksichtigen. Die ABS könnte doch dafür sorgen, dass sie aktiver wahrgenommen wird als Bank auch für Frauen, mit speziellen Beratungsleistungen.
AW: Da würde ich mich dagegen wehren. In meinem Verständnis vertritt die Bank die Haltung: Frauen und Männer sind gleichberechtigt. Da braucht es keine spezielle Abteilung oder Dienstleistung, das würde ich eher als Rückschritt betrachten. Wichtig ist doch, dass eine Kundin oder ein Kunde sagen kann, ob sie oder er lieber von einer Frau oder einem Mann beraten werden will. Heute wird aktiv abgefragt, ob sich die Kundin oder der Kunde die jeweilige Person als Beraterin oder Berater vorstellen kann – und auch, ob es lieber eine Frau oder ein Mann sein soll.
Zum Schluss eine Frage an euch, die die Bank in der Gründerzeit geprägt haben: Welche Wünsche habt ihr an die künftige Entwicklung der ABS?
HUS: Meiner Ansicht nach sollte die ABS weiterhin ihr Kerngeschäft stärken – also das, was sie gut macht, noch besser und wenn möglich breiter machen, nämlich: Transparenz, Werte, Geschäftspolitik. Und zur Geschäftspolitik gehören die Klima- und Gleichstellungsfragen. Die waren von Anfang an tief in der ABS-DNA verwurzelt, und darauf könnt ihr aufbauen. Und dann wünsche ich mir vor allem, dass die ABS aus ihrer Nische herauskommt und weiterwächst. Vor allem in der Anlageberatung liegt meines Erachtens noch viel Potenzial – auch wenn das in der aktuellen Tiefzinssituation sehr anspruchsvoll ist. Und als letztes wünsche ich mir, dass die ABS ein bisschen mutiger wird. Sie sollte nicht nur Gutes tun, sondern auch darüber reden! Wenn man sieht, wie gross die Verstrickung der Schweizer Finanzindustrie nach wie vor ist – etwa beim weltweiten Rohstoffhandel, dessen Finanzierung zu einem grossen Teil über die Schweiz läuft – da hat doch jede Schweizer Bank einen Auftrag, zu sagen: Wie nehme ich meine Verantwortung wahr?
SR: Ich wünsche mir, dass die ABS weiterhin die Solidarität zwischen Sparenden und Kreditnehmenden ins Zentrum stellt und dabei als Vorbild wirkt. Früher, als die Zinsen noch höher waren, bot die ABS Sparerinnen und Sparern die Möglichkeit, ganz oder teilweise auf den Zins zu verzichten. So konnten die Kreditnehmenden von niedrigeren Zinsen profitieren. Diese Politik setzt die Bank heute in meinen Augen mit den Negativzinsen fort und das ist gut so. Zudem soll die ABS auch an der ursprünglichen Arbeit des Banquiers festhalten, nämlich Kredit geben und die entsprechenden Risiken in Kauf nehmen, und nicht etwa beginnen, einfach am Finanzmarkt die Risiken zu diversifizieren. Das ist nötig, damit wir den Übergang zu einer ökologischen Wirtschaft und Gesellschaft finanzieren können – und damit weitere Banken dem Beispiel der ABS folgen.
In Verbindung stehende News: